Hannes‘ Befürchtung ist eingetroffen: Nach der Geschäftsleitungssitzung am Montagmorgen ist nach seinem Empfinden wieder einmal er derjenige, der am meisten Arbeitsaufträge für die Woche abbekommen hat. „Immer ich“, denkt er, auch wenn er solche Aussagen von seinen eigenen Mitarbeitern überhaupt nicht mag. Aber wenn er sich in dieser Rolle wiederfindet, ist das natürlich etwas ganz anderes.

„Immer ich“, denkt er, als der Vorsitzende vorschlägt, Hannes damit zu beauftragen, nach weiteren Kosteneinsparungsmöglichkeiten im Unternehmen zu suchen. Die Kollegen der Geschäftsleitung stimmen dem Vorschlag zu. Die einzige Gegenstimme, diejenige von Hannes, mag das demokratische Ungleichgewicht nicht zu kompensieren. Beim unausgesprochenen Tagesordnungspunkt, oder wie man bei uns in der Schweiz sagt, Traktandum „Arbeit verteilen“ werden Kollegen zu Konkurrenten – egal auf welcher Hierarchiestufe.

Hannes ist sich bewusst, dass Kosteneinsparungen für Organisationen ein anspruchsvolles Thema sind. Er kann nur verlieren. Findet er zu wenige Maßnahmen, beschleicht den Geschäftsführer der Verdacht, aufs falsche Spar-Ideen-Pferd gesetzt zu haben. Findet er genügend Maßnahmen, macht er sich bei allen Abteilungen unbeliebt, bei denen eben diese Maßnahmen angewendet werden. Die Zahl der potenziellen Feinde erscheint angesichts der aktuellen Finanzlage seines Unternehmens nicht gerade klein.

Die finanzielle Situation ist schon lange unerfreulich. Nach harten, einschneidenden, aber wirksamen Sparaktionen wie Produktion optimieren, Personal abbauen, Kosten der Lieferanten drücken sind die großen Brocken bereits erfolgreich abgespeckt. Es gibt nicht mehr viele Bereiche, gleichwohl ist die finanzielle Schräglage des Unternehmens nach wie vor akut.

Hannes brütet. „Wo können wir sparen, ohne dass es weh tut?“

Während er seinen Gedanken nachhängt, erblickt er im Innenhof des Firmengebäudes einen Vogel – einen echten, lebendigen Vogel wohlgemerkt. „Genau – der Vogel ist mein Vorbild“. Dieser holt sich seine kleinen Körner an vielen Plätzen, nirgends fehlen sie, trotzdem wird der Vogel satt. Dabei erinnert er sich an den Leitsatz seines Hochschullehrers, der immer predigte „Kleinvieh macht auch Mist“.

Da war sie also, die Lösung für sein Problem. Im aktuellen Kontext konnte die Suche nach kleinen Samenkörnern zur Kosteneinsparung nur bedeuten, mit Akribie den Büroalltag und die Abteilungen zu durchforsten. Ausgestattet mit der Kamera seines Handys macht Hannes sich sogleich auf die Suche durch die Gänge, durch die Abteilungen, in die Zentrale und die Betriebskantine. Überall findet er „Sparkörner“.

Etwa die Kaffeemaschine. Wenn der Kaffee mit etwas mehr Druck in die Tassen katapultiert wird, ähnlich dem Tankvorgang in der Formel 1, sparen wir Zeit. Hannes notiert: Bei rund 2000 Kaffeeausgaben pro Tag und einer eingesparten Sekunde pro Ausgabe ergibt dies 2000 Sekunden pro Tag, 440‘000 Sekunden pro Jahr oder 122 Arbeitsstunden. Beinahe ein Monatspensum. Wenn zusätzlich zwei Kaffeetassen gleichzeitig abgefüllt werden, ergibt es zwei Monate.

Hannes geht aufmerksamen Schrittes durch die Gänge und gelangt zu den Toiletten. Ein leider allzu beliebter Aufenthaltsort, an dem wertvolle Arbeitszeit verloren geht. Einfache Lösung: Die Toiletten müssen unattraktiver gestaltet werden. Schnellere Spülvorgänge, den Timer beim Händetrockner eine Sekunde kürzer einstellen, die automatische Beleuchtung am stillen Orte lässt sich auch etwas dimmen und vor allem die Zeitspanne für eine eingeschaltete Beleuchtung lässt sich verkürzen: „Da ist Potenzial von sicherlich noch einem Monat an Arbeitsstunden pro Jahr“.

Stolz, Maßnahmen gefunden zu haben, die niemanden schmerzen und gleichwohl Kosten senken, wird Hannes noch kreativer. Den Aufzug kann man beschleunigen, der quittierende Pieps der elektronischen Arbeitszeitkontrolle könnte entfallen, weil die Leute dort sowieso zu lange stehen bleiben. In völlig neue Dimensionen der Effizienz wird vorgedrungen, wenn jeder Arbeitsplatz mit schnelleren Computer-Mäusen ausgestattet wird. Der Katalog der Einsparpotenziale wächst und Hannes rechnet die eingesparten Sekunden fein säuberlich in gesparte Personen-Mann-Tage um.

Wenn man nun noch mit dem Bäcker der Pausenbrötchen ein Abkommen schließt, dass er zwei Prozent mehr kostenlose Luft im Mehl verwendet und dafür die Semmeln zwei Prozent günstiger bäckt, erreicht Hannes Maßnahmenkatalog schon fast strategische Ausmaße. Sein Triumpf bei der nächsten Geschäftsleitungssitzung scheint ihm sicher. Mit siegesgewissem Lächeln und zufrieden über seine eigene Cleverness beginnt er seine Präsentation vorzubereiten.

Um fundiert zu argumentieren, wiegt Hannes die Einsparungen gegen das auf, was seine Recherchearbeiten und die Aufwände wie „Verhandeln mit dem Bäcker“, „Neuinstallation der Hochkompressor-Kaffeemaschinen-Pumpe“ kosten. Hannes staunt über die Zahl, die recht hoch ist. „Aber wer etwas erreichen will, muss auch investieren.“ Trotzdem: Die eingesparte Zeit minus gerechnete Aufwandszeit ergibt ein Ergebnis von total 381‘741 Sekunden pro Jahr. Macht ziemlich genau 100 Stunden. Bei einer Belegschaft von 2000 Personen macht das stolze 0,26 Prozent.

Na ja … man kann vielleicht bei den Planungsarbeiten noch etwas einsparen, indem beispielsweise die Worte in der Präsentation nicht ganz ausgeschrieben werden …

Mehr Geschichten von und mit Hannes gibt es im Buch „Best Practice Leadershit: Absurde Wahrheiten aus den Chefetagen“. Bestellen können Sie das Buch gleich hier.

PS.:  Wenn wir ganz ehrlich sind, lebt Hannes in seiner liebenswürdigen Seltsamkeit auch ein ganz klein wenig in uns selbst. Genau deshalb ist mein Buch für alle Menschen da draußen in den vielen Büros, die den alltäglichen Management-, Führungs- und Kommunikationswahnsinn erdulden oder zum Teil auch verursachen. Darüber zu lachen ist persönliche Therapie und zwischenmenschliche Beziehungspflege in einem. Bei beidem wünsche ich Ihnen ganz viel Spaß! Und freue mich auf jede Anmerkung, jeden Kommentar und jede Geschichte aus dieser oder jener Chefetage … damit Hannes weiterlebt!

 

 

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