Was tut jemand, der sich mit der offiziellen Darstellung seines Landes nicht identifizieren kann und deshalb in den gleichgeschalteten Medien nicht auftaucht? Er nutzt das Netz! Als Blogger vertritt er seine (ungeliebte) Meinung und mobilisiert zigtausend Gleichgesinnte zu landesweiten Kundgebungen. Die sozialen Netzwerke sind Alexej Nawalnys Sphäre. Der russische Oppositionspolitiker und Blogger twittert bis zur Verhaftung.

Die sozialen Medien beherrschen unsere Kommunikationswelt und haben einen erheblichen Einfluss auf unseren Alltag. Längst wird dieser von den smarten Geräten und deren Anwendungen bestimmt. Nicht mehr umgekehrt. Arbeiten und Gedankengänge werden sofort unterbrochen, geht eine neue Meldung ein. Wir nutzen die Fahrt im Bus oder in der U-Bahn ebenso, um unseren elektronischen Briefkasten zu checken, wie jegliche Wartezeiten oder den Gang zur Toilette, wo ja zu ‚Urzeiten’ schon einmal die zu anderen Zwecken verwendete Zeitung studiert wurde.

Nach dem Aufwachen gilt unsere Aufmerksamkeit nicht mehr in erster Linie dem Partner neben uns. Wir streicheln zuerst einmal das Smart-Phone. Bleibt dieses heißgeliebte Gerät versehentlich einmal zuhause liegen, löst das nicht selten körperliche Entzugserscheinungen aus.

Ein Aspekt dieser ganzen Entwicklung erscheint mir besonders wichtig. Wir kommunizieren nämlich tatsächlich wieder mehr miteinander. Kommunikation in seiner Ur-Form diente dem Austausch. Worte erleichterten es dem Menschen, sich genauer auszudrücken. Mit der Erfindung des vervielfältigten Wortes per Buch und Zeitung wurde der Mensch jedoch immer mehr zum reinen Konsumenten. Radio und Fernsehen verstärkten diese Entwicklung weiter. Der Dialog verkümmerte immer mehr zum Monolog. Ein Abgleiten in die Passivität erfolgte.

Mit den sozialen Medien kommt ein Stück der ursprünglichen Idee der Wort-Kommunikation zurück. Ihr Erfolgsgeheimnis beruht nicht zuletzt auf der Teilhabe, der Möglichkeit, alles sofort und jederzeit zu kommentieren und Texte selbst zu verfassen. Durch diese Möglichkeit der Interaktivität verschiebt sich das Gewicht zu mehr Aktivität. Wir lassen teilhaben und nehmen teil, wir folgen und zwitschern, wir usen und posten, wir streamen und bloggen. Tatsächlich hat Social Media unser Kommunikationsverhalten so einschneidend verändert, wie es nicht einmal die Verbreitung des Buchdrucks vor mehr als fünfhundert Jahren geschafft hat.

Wir leben uns im Netz aus. Und gleichzeitig hält der Dialog wieder Einzug. Eine TV-Sendung wird nicht mehr nur konsumiert, es kann auch dem eigenen Mitteilungsbedürfnis sofort stattgegeben werden. Im Grunde gehen wir hier einen Weg zurück zu unseren Ursprüngen. Kommunikation ist eine Dialogform, die auf dem Wortwechsel der Beteiligten beruht. Nach Jahrzehnten der Unterdrückung haben wir diese Freiheit wieder gewonnen. Ein historischer Moment in einer historischen Phase.

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